der Schein trügt

Heidelberg, ein Dachgeschoss in einem Villenviertel an einem Sonntagmorgen.

Während die Glocken der beiden benachbarten Kirchen einander abwechselnd ihre Schläge zuwerfen, führt drei Stockwerke unter mir eine junge Mutter ihre beiden Jungs zum ersten Kicken des Tages in den Garten des Mehr-Parteien-Hauses. Als sie hoch schaut und mich entdeckt, wie ich mit meiner Kaffeetasse in der Hand im Rahmen der Terrassentür lehne und die Szene von hier oben betrachte, blicke ich freundlich zurück und komme mir vor wie eine Zahnarztfrau aus der Werbung der 90er-Jahre, ein reines Klischee.

Ich möchte ihr zurufen, dass alles anders ist als es aussieht. Dass mir diese Wohnung nicht gehört. Dass ich nur für vier Tage hier bin, in der Vorstellung, mir ein mit einem solchen Zuhause zusammenhängendes Leben in einem Stadtteil wie diesem leisten zu können. Lebensumstände, die nicht meine sind. Die ich mir für ein paar Tage überstreife wie neue Kleider in einem Geschäft zur Anprobe, wie ein Kostüm fast, aber ein so gut gearbeitetes, dass es erst auf den zweiten Blick als solches erkennbar wird.

Will ihr zurufen, dass in einem der drei Zimmer hier oben auch ein Kind ist, meins. Dass ich weiß, wie heroisch ihr morgendliches Fußballspielen ist, während ihr Partner – so stelle ich es mir vor – noch unter der Dusche steht, womöglich sogar: noch im Bett liegt und träumt.

Vielleicht kommt er aber auch gleich unten um die Straßenecke gebogen, verschwitzt von seiner täglichen Joggingrunde, in der Hand eine Tüte frischer Brötchen. Und dann frühstücken sie alle zusammen. Eine Bilderbuchfamilie.

Wasser auf Haut

verkörpert

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